„Thoms hilft mit geschickten Kunstgriffen nach. Ihre Fassung überzeugt. Keine Spur von Sophokles antikem Griechenland, stattdessen bietet „Antigone“ Antike in zeitgenössischem Gewand, eine sehenswerte zeitlose Verhandlung und gute schauspielerische Leistungen.“

2016, Inszenierung am Stadttheater Bremerhaven

Text: Sophokles, übersetzt von Simon Werle Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Anna Gerhards Ausstattung: Bettina Latscha

Mit: Henning Bäcker, Julia Friede, Harald Horváth, Kay Krause, Jana Julia Roth, Pascal Andrea Vogler, Isabel Zeumer und Hanns-Carl Engels, Klaus Hantschel, Hartmut Henscheid, Matthes John, Gustav Klitsch, René Maréchal, Detlef Mauritz, Erwin Späth

„Sei noch so reich an Besitz, ja, lebe wie ein Fürst, wenn bei alldem die Freude fehlt, dann geb ich für alles übrige nicht eines Rauches Schatten.“

Der eine Bruder ist als Held der Stadt gefallen, der andere als Feind schmählich verreckt. Nun besitzt Antigones Onkel Kreon die Macht und sein erster Befehl lautet: Eteokles, den Helden, soll man in Ehren bestatten, Polyneikes aber, den Feind und Verräter, dürfe niemand begraben, Hunden und Vögeln sei sein Leichnam zum Fraß überlassen. Doch Antigone gehorcht nicht. Sie begräbt ihren Bruder, steht öffentlich zu ihrer Tat und bringt so Gesetz und Ordnung ins Wanken. Sie handelt nach ihrem subjektiven, Kreon nach seinem politischen Gewissen, beide haben verständliche Ziele, doch lassen sie sich vereinen?

Was wiegt mehr: die Sicherheit des Staates oder Geschwisterliebe? Politisches Gesetz oder moralische Pflicht? Und wer entscheidet über Recht und Unrecht?

Antigone und Kreon handeln beide voll Überzeugung, das Richtige zu tun und geraten so in einen unlösbaren Konflikt zwischen Staats- und Menschenrecht, zwischen Politischem und Privatem. Die Unbedingtheit der trauernden Schwester stürzt den Staatsmann in die Krise, denn der Herrscher kann in seiner Funktion nicht hinter sein Verbot zurück. Auf die eigene Meinung zu verzichten, nachzugeben, einzulenken, das hieße, sein Gesicht zu verlieren und bräuchte eine Größe, die beide nicht haben.

Die Fronten verhärten sich, immer unvereinbarer werden die Positionen.

Während wir Zuschauenden alle Seiten verstehen, den Argumenten bereitwillig folgen, das Beharren auf der eigenen Position nur allzu menschlich finden, ist die Spirale des Todes nicht mehr aufzuhalten. Antigone wankt nicht und Kreon gibt nicht nach. Tod häuft sich auf Tod. Dazwischen schwankt das Volk in dem öffentlich ausgetragenen Konflikt, macht Stimmung statt Politik und hat, wenn es schlecht ausgeht, mal wieder alles besser gewusst. Unter den vermeintlichen Eindeutigkeiten des Politischen und des Religiösen zeigt Sophokles „Antigone“ die tiefe Zweideutigkeit des Wirklichen, unlösbare Konflikte menschlichen Zusammenlebens, die einen jeden Menschen im Leben zu zerreißen vermögen und macht so jede einfache Gewissheit zunichte.

Antike in zeitgenössischem Gewand

Dem von den Göttern vorbestimmten Schicksal kann in der griechischen Tragödie kein Mensch entgehen, es zu vermeiden ist bloße Selbstüberschätzung. Alles kommt wie es kommen muss und Regisseurin Antje Thoms hilft mit geschickten Kunstgriffen nach. Ihre Fassung überzeugt, im Hintergrund werden Szenen aus der Vergangenheit der Königsfamilie eingeblendet, der Chor der Alten kommentiert das Geschehen aus den ersten Reihen. Kreons Einlenken kommt zu spät. Am Ende bleibt nur Verzweiflung. Keine Spur von Sophokles antikem Griechenland, stattdessen bietet „Antigone“ Antike in zeitgenössischem Gewand, eine sehenswerte zeitlose Verhandlung und gute schauspielerische Leistungen.