„In dieser Inszenierung geht wirklich die Post ab. Das Publikum gerät in eine Zentrifuge voller Freude, Trauer und Drama, zwischen Trance und einer drohenden Tragödie.“

2017, Inszenierung am Landestheater Schleswig-Holstein

Text: nach Heinrich von Kleist Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Andre Becker Ausstattung: Lea Dietrich Fotos: Lea Dietrich, Henrik Matzen

Mit: Mattis Bohne, Stefan Hufschmidt, Lisa Karlström, Flavio Kiener/Simon Keel, Johannes Lachenmeier, Alexandra Pernkopf, Nenad Subat und Anna Franck, Hans-Helmuth Jebe, Jasna Waloch, Erwin Wittnebel

„Ich weiß, das ich mich fassen und diese Wunde vernarben werde; denn welche Wunde vernarbte nicht der Mensch?“

Der Welt und sich selbst ist das Käthchen ein Rätsel. Bedingungslos und mit unheimlich scheinender Hingabe folgt sie dem Ritter vom Strahl und gleichzeitig ihrer inneren Wahrheit. Diese liegt im Traum verborgen, diesem Traumbild gehorcht Käthchen, allen Widrigkeiten zum Trotz. Sie beharrt auch dann noch auf ihrer Liebe, als sie verhöhnt und erniedrigt wird. Nicht das Käthchen, nicht der Graf vom Strahl, keine der Kleistschen Figuren besitzt Maß und Ziel, jenes Verhältnisdenken der Erwachsenen. Die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit sind aufgehoben, die Gefühle riesengroß. Alle sind sie zerrissen und taumeln durch extreme Gedankenwelten, durch Kleists Szenarien der Grausamkeit. Nur das Käthchen scheint Gewissheit zu haben, sie traut der Wahrheit des Gefühls. Doch was zählt mehr, Verstand oder Seele? Und was ist wahrer, der Traum oder die Wirklichkeit? Hinter der Liebe entdeckt Kleist die Grausamkeit und hinter der Grausamkeit die Liebe. Es gilt, die Extreme auszuhalten: Ein Traum kann so stark wie die Wirklichkeit sein. Die Liebe so heftig wie der Krieg. Und der Moment des Erkennens schon das Ende von allem.

Eine großartige Inszenierung mit archaischen Bildern und viel Gefühl

Die Bühne lodert, denn das Gericht, das über den Grafen von Strahl verhandelt, sitzt um eine riesige Feuerschale. Die Richter allesamt Engel, Himmlische, die mit weißgetünchtem Gesicht, Federn und Wollhemd archaisch daherkommen. Ihr Fall: Hat er das Käthchen entführt? Ist sie mit ihm mitgegangen? Für Wetter Strahl ist es klar. Schon der Einstieg ins „Käthchen von Heilbronn“ zeigt einen rasenden Helden und den spielt Johannes Lachenmeier einfach umwerfend gut. Aufbrausend und intensiv, dann wieder leidend und wie abwesend, ein Spiel mit unendlichen Facetten, wie die Bühnenwelt auch. Alles wird nicht einfach nur erzählt, es ist vielmehr ein Kaleidoskop von Bildern, eine Wunderkammer verwegener Figuren, wie aus dem Nichts explodieren die Figuren, großartig unterstützt von der alten Sprache. Die wird geliebt, geschrien oder einfach nur vorgetragen, mit großer Geste, mit Wut und stiller Freude. Und über allem stehen, sitzen, singen und lachen die Engel.

Zwischen Trance und drohender Tragödie

Freude, Trauer und Dramatik wechseln sich explosionsartig ab. In Kleists „Käthchen von Heilbronn“ geht in dieser Inszenierung wirklich die Post ab. Johannes Lachenmeier spielt die tragende Rolle des Grafen mit vielen Facetten, manisch und intensiv, bald aufbrausend, bald leidend und zeitweise direkt abwesend. Das Publikum gerät in eine Zentrifuge voller Freude, Trauer und Drama, zwischen Trance und einer drohenden Tragödie.

Liebe als Fantasie und Hirngespinst

Heinrich von Kleists „Käthchen von Heilbronn“ sah sich in der Inszenierung von Antje Thoms einer ebenso bunten wie rätselhaften Frischzellenkur ausgesetzt. (Alb-)traumhafte Bilder werden erzeugt in der hervorragenden Ausstattung von Lea Dietrich. Am Anfang ein riesiges Lagerfeuer vor einer kalten Steinwand, um den sich Engel versammeln. Als eine Art Spielleiter brilliert Flavio Kiener, der kurzfristig für den erkrankten Simon Keel als Engel Gottschalk eingesprungen ist. Danach öffnet sich Moment um Moment die Szenerie. Wir erleben einen schlagzeugspielenden und irgendwann auch nackten Graf Wetter vom Strahl, grandios interpretiert von Johannes Lachenmeier. Wir sehen ein Käthchen, in ihrer traumverlorenen irrlichternden Unschuld absolut überzeugend: Alexandra Pernkopf. Man staunt über einen fulminant konstruierten Effekt, der den Brand des Rheingrafen von Stein zeichnet, Figuren in Bären- oder silberleuchtenden Kostümen überraschen, kunterbunte Flickenvorhänge senken sich über die Szenerie, bierzeltfröhliche Girlanden werden aufgehängt. Man muss diese entschlossene Lesart loben, aber man muss sie nicht unbedingt mögen. Das Publikum hatte seine Entscheidung schnell getroffen: Rauschender Applaus.

Pompöses Spektakel

Antje Thoms inszeniert „Käthchen von Heilbronn“ als pompöses Spektakel, das über weite Strecken richtig Spaß macht und die Zuschauer bei der Premiere zu Beifallsstürmen hinriss.

Eine Inszenierung, die polarisiert.

Das Käthchen von Heilbronn als gelungene Tragikkomödie

So lebendig habe ich noch keine Käthchen-Inszenierung erlebt. Meist wird Kleist mit Pathos und Düsterheit inszeniert. Dieses Käthchen lebt aus einer Fülle toller Bilder. Bilderwelten, die manchmal mehr an Shakespeare erinnern als an Kleist, aber dem Stück Farbe und Kraft geben. Kleist einmal mutig anders. Hingehen, schauen und staunen.