"Das satirische Potential des Stücks wird von Regisseurin Antje Thoms voll ausgeschöpft. Die fünfköpfige Lehrerschaft, dem die arglose Schülerin gegenübersitzt, zeigt sich als bizarrer Männerchor: politisch korrekt und gnadenlos – auch gegen die eigenen Mitglieder. Fazit: köstliches Klamauktheater."

2008, Uraufführung am Stadttheater Bern / Autorenspektakel „Der Fremde ist nur in der Fremde fremd“

Text: Raphael Urweider und Michaela Leslie-Rule Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Erik Altdorfer Bühne: Christoph Wagenknecht Kostüme: Romy Springsguth

Mit: Pilu Lydlow, Sebastian Edtbauer, Michael Frei, Jonathan Loosli, Diego Valsecchi, Stefano Wenk

„Lektion vier, Aktivitäten: Unfälle zu Hause. Übung sieben. Hören sie gut zu! Was stimmt? Herr Günther ist in Österreich, in Tirol, in Wörgl geboren und A: ist dort die Treppe heruntergefallen B: ist mit dem Fuß umgeknickt C: wird traurig, wenn er nicht in Wörgl ist und Wörgl sagen muss.“
 

„Für Fremdsprachige“ – eine Satire über sprachliche Uniformität und linguistische Ausgrenzungsmaßnahmen – ist Teil des Projekts „Der Fremde ist nur in der Fremde fremd“, welches aus einer Reihe von Uraufführungen kurzer Stücke besteht, für die das Stadttheater Bern Werkaufträge an AutorInnen vergeben hat. Inhaltlich setzen sich die Texte mit Fremdsein, mit Entfremdung auseinander, und befassen sich mit den psychologischen, soziologischen, linguistischen und geopolitischen Aspekten des Diskurses.

Sprachmusikalisch durchkomponiert

Zu lachen gab es immer wieder. „Für Fremdsprachige“ von Raphael Urweider etwa erntete Dauer-Lachsalven. Auch sonst ist es ein echtes Meisterstücklein: eine bizarre Sprachstunde für eine Ausländerin namens „Frau“, gehalten von sechs tadellos gekleideten Herren aus verschiedenen Kantonen – sprachmusikalisch voll durchkomponiert. Bei allem Witz blieb auch hier die Entlarvung nicht aus: Die Frau lernt schnell und gewinnt im selben Maß an Souveränität, wie sich die Männer zu Couch-Potatoes zurückentwickeln.

Mechanismen der Ausgrenzung

Eine bissig-vergnügliche Lektion „Für Fremdsprachige“ erteilen Raphael Urweider und Michaela Leslie-Rule. In zügigen Dialogen entwickelt sich hier eine Satire über sprachliche Uniformität und ihre Mechanismen der Ausgrenzung.

Rasante Inszenierung

Helvetisch muffig wirkt der Sprachkurs von Rahpael Urweider und Michaela Leslie-Rule, in dem fünf trottelige Schweizermacher über ihre eigenen Dialekte stolpern. In der rasanten Inszenierung von Antje Thoms aber ist das ein großer Spaß.

Tolle Ausnahme

Die Stücke lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen: verhalten lustig oder völlig unverständlich. Ein Stummfilm erzählt seine Handlung nur mit Bildern. Ein Hörspiel nur mit Ton. Theater funktioniert auf der Achse zwischen diesen beiden Extremen. Es lebt von Bild und Ton, mit wachsenden Anteilen. Doch die neuen Stücke liegen zu nah beim Hörspiel: Text, Text, Text. Die tolle Ausnahme des Abends bildet „Für Fremdsprachige“ von Raphael Urweider und Michaela Leslie-Rule. Eine Ausländerin nimmt Deutschstunden bei einem ganzen Chor von verknorzten, aber sabbernden Lehrern. Daraus entwickelt sich eine rasante, präzise Farce.

Bizarrer Männerchor

Das satirische Potential des Stücks wird von Regisseurin Antje Thoms voll ausgeschöpft. Die fünfköpfige Lehrerschaft, dem die arglose Schülerin gegenübersitzt, zeigt sich als bizarrer Männerchor: politisch korrekt und gnadenlos – auch gegen die eigenen Mitglieder. Wer die Regeln nicht beherrscht oder sie in Frage stellt, bleibt fremd und kommt gnadenlos unter die Räder. Das Fazit: köstliches Klamauktheater.