„Antje Thoms traurig-poetische Inszenierung zeigt einen, der willentlich heraustrat aus der scheinbar unveränderlichen Wirklichkeit der Funktionierenden. Ihre Botschaft: Resignation ist auch in einer scheinbar fertigen Welt keine Daseinsgrundlage.“

2007, Inszenierung am Theater Ulm

Text: Anne Jelena Schulte Regie und Ausstattung: Antje Thoms Fotos: Carola Hölting

Mit: Annette Faßnacht, Christel Mayr, Wilhelm Schlotterer, Christian Taubenheim und Simon Berlec, Nico Hengerer, Egon Markus Schlaier, Adolf Schmid

„Guck nicht so tragisch.
Falls Du Abgründe erforschen willst
Ich bin eine absolut flache Landschaft.“

„Antoniusfeuer“ ist inspiriert vom Schicksal des Großstadteremiten Joachim Schwahr, gestorben 2003. Schwahr wurde als junger Mann wegen antikommunistischer Propaganda vom sowjetischen Militärtribunal verurteilt und saß acht Jahre im Gefängnis von Bautzen. Doch den Traum von Freiheit konnte ihm auch die Haftzeit nicht austreiben. Das Stück setzt ein mit seiner Entlassung und Flucht nach Westberlin, wo Schwahr versucht, sich privat und beruflich ein neues Leben aufzubauen. Über eine Annonce lernt er Luise kennen, in die er sich heftig verliebt. Doch bald muss er erkennen, dass auch in der Bundesrepublik „funktionierende“ Bürger gefragt sind. Er aber hat weder Beruf, noch Geld, nur einen guten Freund: die sprechende Krähe.

Keine guten Voraussetzungen, um in der freien Marktwirtschaft erfolgreich zu sein.

Bald sitzt er auf den Fluren der Ämter und hat den gleichen Status, den er auch auf der anderen Seite der Mauer hatte: Außenseiter und Querulant. Trotz aller Schwierigkeiten wehrt Schwahr sich gegen die ihm zugewiesene Opferrolle, rebelliert gegen Machtstrukturen und herablassende Mitleidsgesten und gibt die Suche nach einem selbstbestimmten Leben nicht auf.

Ein tragisch-komisches, poetisch-derbes Stück über einen Menschen, der weder in der kommunistischen noch in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sein Glück finden kann.

Und der sich, weil er in keine Gesellschaft zu passen scheint, in seine vier Wände zurückzieht, die er 40 Jahre lang nicht mehr verlässt.

Der einzig Normale unter den Untoten

Im Jahr 2003 starb in Berlin Joachim Schwahr. Die Biografie inspirierte die Journalistin Anne Jelena Schulte zu dem Stück „Antoniusfeuer“, das jetzt im Theater Ulm bei der Uraufführung begeistert aufgenommen wurde. Antje Thoms traurig-poetische Inszenierung bringt die Fragmente von Joachim Schwahrs Leben parallel auf die Podiumsbühne: Die abstempelnden Bürokraten in den Ämtern, Luise, die Schwahr über eine Annonce kennenlernt und die ihm in ihrer Außenseiterrolle wie in ihrer inneren Intensität ungeheuer ähnlich ist, die beiden äußerlich angepassten und innerlich kaputten Tanten und die handzahme Krähe. Faszinierend dicht ist das Spiel von Christian Taubenheim in der Rolle des Außenseiters Schwahr und von Annette Fassnacht in der Rolle der labilen Luise, bei der Schwahr sich lebendig fühlt. Thoms Inszenierung von „Antoniusfeuer“ zeigt einen, der willentlich heraustrat aus der scheinbar unveränderlichen Wirklichkeit der Funktionierenden. Ihre Botschaft: Resignation ist auch in einer scheinbar fertigen Welt keine Daseinsgrundlage.

Gefangen in freier Welt

Die Regisseurin Antje Thoms zeigt ein Spiel über die Einsamkeit. Alle sind Passanten, Stimmungen in der Welt des Joachim Schwahr, den Christian Taubenheim glaubwürdig als einen Menschen spielt, der nicht zu greifen ist: verloren, kämpferisch, verzweifelt, euphorisch. Und vielleicht trotzdem glücklich.