„Antje Thoms ist es wunderbar gelungen, die Schärfe dieses klug komponierten Textes herauszuarbeiten. In ihrer Inszenierung offenbart sich die Tiefe des beim ersten Lesen fast oberflächlich wirkenden Schauspiels.“

2018, Inszenierung am Deutschen Theater Göttingen

Text: Lutz Hübner und Sarah Nemitz Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Sonja Bachmann Ausstattung: Jeremias Böttcher Fotos: Isabel Winarsch

Mit: Gaby Dey, Christina Jung, Roman Majewski, Marco Matthes, Feridun Öztoprak, Judith Strößenreuter, Christoph Türkay

„Du hörst nicht zu, du wartest, bis du drankommst. Das ist ein gewaltiger Unterschied.“

„Willkommen“ holt die Diskussion über den gesellschaftlichen Wandel direkt ins Wohnzimmer der bürgerlichen Mitte. Beim WG-Abendessen verkündet Benny die Neuigkeit: Er wird für ein Jahr als Dozent in die USA gehen. In dieser Zeit würde er sein Zimmer gern Geflüchteten zur Verfügung stellen, natürlich nur, wenn alle Mitbewohner einverstanden sind. Sophie, Hauptmieterin und Fotografin, ist begeistert und plant gleich ein Dokumentarprojekt. Doro, die WG-Älteste, hält dagegen nichts vom Machogehabe arabischer Männer und von sozialen Experimenten in den eigenen vier Wänden. Jonas, noch in der Probezeit bei der Bank, sorgt sich um seine Nachtruhe. Und Anna, das Nesthäkchen, hat gerade andere Probleme: Sie ist schwanger und würde gern mit dem Kindsvater zusammenziehen. Als der später am Abend vorbeischaut, dreht sich die Diskussion komplett – denn der sympathische Sozialarbeiter Achmed äußert sich unverblümt über Araber und Gutmenschen.

Wo verläuft unsere Toleranzgrenze? Wie steht es wirklich um die Bereitschaft, die eigene Komfortzone aufzugeben?

Einblicke ins tiefste Innere

Mit stürmischem Applaus und Bravorufen hat die Premiere in der Inszenierung von Antje Thoms wohlverdienten Lohn bekommen. So überzeugend wie die Regiearbeit zeigte sich das sechsköpfige Schauspielensemble. Dem Theater ist eine Vorstellung gelungen, bei der nicht nur die Gehirnzellen, sondern auch die Lachmuskeln viel Futter bekommen. Jeder im ausverkauften Zuschauerraum kann auf der Bühne etwas von sich wiederfinden. Er sieht den jeweiligen Menschen mit all seinen Empfindlichkeiten, mit dem, was gerade diesen Menschen ausmacht. Antje Thoms ist es wunderbar gelungen, die Schärfe dieses klug komponierten Textes herauszuarbeiten. In ihrer Inszenierung offenbart sich die Tiefe des beim ersten Lesen fast oberflächlich wirkenden Schauspiels. Ein tolles Stück, das Einblicke ins tiefste Innere der Protagonisten gewährt und den Zuschauern viele Spiegel vorhält.

Hinter dieser Komödie lauert eine böse Falle

Ein bisschen Rassismus und ansonsten immer schön moderat argumentieren. Diese Rechnung geht leider nicht auf. Wo politische Goodwill-Bedürfnisse und private Befindlichkeiten aufeinandertreffen, klappt es auch auf der Bühne mit der viel beschworenen Meinungsvielfalt beim Zusammenleben nicht mehr so recht. Kleine Kränkungen und ironische Seitenhiebe sind nur der Anfang beim monatlichen Jour fixe. Es zeigt sich, dass hinter der Frage der Willkommenskultur und ob die überhaupt WG-kompatibel ist, auch noch ein paar Altlasten lauern, die natürlich nie beim Jour Fixe zur Sprache kamen. Jetzt bekommen sie noch mal richtig Drive in Kombination mit rassistischen Aussetzern, Kränkungen und kleinen persönlichen Bösartigkeiten. So tolerant und gelassen ist diese Wohngemeinschaft keineswegs, wenn es um frühere Beziehungen, spontane Affären und individuelle Eigenarten geht, die da unter einem gemeinsamen Dach gelebt werden. Auch diesen Fundus an Eifersüchteleien und Konkurrenzen, gemixt mit individuellen Vorurteilen, Chauvi-Sprüchen und schwelenden Animositäten enttarnen Regisseurin Antje Thoms und ihr Schauspielteam sehr fein dosiert und wunderbar subtil. Wer sich immer zu kurz gekommen fühlt, mit seiner großen Klappe oder seinem kleinkarierten Ex-Lover nervt oder seine Freizeit ständig an der Tischtennisplatte verbringt, outet sich im Verlauf der turbulenten Wortduelle mehr und mehr. Und natürlich dreht das Autorenduo mit seinen pointierten Dialogen auch sehr geschickt an der komödiantischen Stellschraube, die wie ein durchlöcherter Tarnmantel funktioniert. Es kommt halt doch alles raus, vor allem das kleine, fiese Ego, das in jedem WG-Mitglied lauert und am liebsten die eigenen Bedürfnisse und Ansprüche gesichert wissen möchte. Da fließen bald jede Menge sentimentale, wütende, hysterische und traurige Tränen, für die mit einer Küchenrolle auch stets das passende Requisit zur Hand ist, während sich der große Tisch, der das Bühnenbild dominiert, allmählich in ein kulinarisches Schlachtfeld verwandelt. Die Fetzen fliegen bis zum Schluss, und ein erheiterndes komödiantisches Finale will sich an diesem Theaterabend auch nicht einstellen, eher eines, dass die Verhältnisse markiert wie sie sind. Hinter dieser Komödie lauert eine böse Falle. Sie entwickelt sich unterhaltsam, turbulent und frech. Sie überzeichnet, parodiert und eckt an. Doch dabei stimmt sie in vielen Momenten vor allem eher nachdenklich, was das akute gesellschaftliche Klima betrifft, das ja auch wenig Anlass zu Optimismus gibt.

Ein hoch aktuelles Thema

Die Premiere des Stücks „Willkommen“ ist am Sonnabend mit viel Applaus bedacht worden. Es geht um das Thema Rassismus, verpackt in einer unterhaltsamen Komödie. Das Stück sorgt im Publikum für viele Lacher, Zwischen- und einen kräftigen Schlussapplaus. Die Schauspieler sind auf Socken unterwegs, stopfen Tiramisu und Alkohol in sich rein, es fliegt auch schon mal Knabberzeugs. Allerdings steht nicht banales mitmenschliches Geplänkel im Mittelpunkt, sondern ein hoch aktuelles Thema. Rassismus. Die Vorurteile und Klischees, mit denen gearbeitet wird, stecken vermutlich auch in vielen Zuschauer-Köpfen. Das Thema Rassismus so locker-flockig und vor allem jede Minute unterhaltsam zu präsentieren, macht Spaß – ohne es zu sehr zu banalisieren.

Wie wir miteinander umgehen wollen

Lippenbekenntnisse sind einfach zu formulieren – doch was steckt wirklich hinter all dem Gutmenschentum unserer Willkommenskultur? Antje Thoms spürt mit ihrer Inszenierung dieser Frage nach und bringt den bunten Strauß an zwischenmenschlichen Konflikten mit viel Geschick auf die Bühne. Ihre Charaktere bleiben bei aller Überzeichnung nah an der Realität und erlauben dem Publikum viel Identifikationspotential. Dabei bewegt sich die Inszenierung immer mehr von der eingangs im Vordergrund stehenden Flüchtlingsproblematik zur eigentlichen Kernfrage, nämlich der, wie wir miteinander umgehen wollen. Darf in einer offenen Gesellschaft wirklich alles formuliert werden? Oder ist es legitim, bestimmte Meinungen zu brandmarken – wenn ja, wo verläuft die Grenze dessen, was gesagt werden darf? Wie weit wollen wir wirklich gehen, um in Not geratenen Menschen zu helfen, und geht es dann um ernst gemeinte Unterstützung oder um Selbstinszenierung?

Moralischer Anspruch kontra Egoismus

„Willkommen“, eine turbulent-hintergründige Komödie unterhielt. Dank einer detailgenau-flotten, temporeichen Inszenierung, die heiter und nachdenklich stimmte. Die Willkommenskultur, seit 2015 viel zitiert, geschmäht und beispielhaft praktiziert, wird in einer geschickten Versuchsanordnung zur Diskussion und auf den Prüfstand gestellt. Im andauernden Fluss der mitunter gallenbitteren Komik, vom Publikum mit immerwährendem Gelächter begleitet, gedeihen Wortwitz und sicher gesetzte Pointen. Tempo und Timing stimmen. Als Ausgangspunkt für das unterhaltsam-witzige Kammerspiel mit bitteren Momenten dient das monatliche gemeinsame Abendessen in einer WG. Eigentlich sind alle für Integration, aber nicht unbedingt in den eigenen vier Wänden. Die politisch-gesellschaftliche Brisanz der Thematik spiegelt sich im offenkundigen Missverhältnis zwischen dem eigenen moralischen Anspruch und dem durchaus nachvollziehbaren Egoismus der Protagonisten. Die Kluft zwischen sozialen Vorstellungen und Selbstverwirklichung wird schließlich mit einem faden Kompromiss überbrückt. Das WG-Zimmer soll künftig als Gästezimmer genutzt werden. Was gewiss auch das Publikum akzeptiert, das den Szenenapplaus mit heftigem Schlussbeifall ergänzt.