„Eine moderne und im wahrsten Sinne des Wortes „fabelhafte“ Beschäftigung mit den Themen, welche unsere Gesellschaft aktuell bewegen."
2024, Inszenierung am Theater Regensburg
Text: Till Wiebel Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Maxi Ratzkowski Ausstattung: Kristopher Kempf Choreografie: Wagner Moreira Musikalische Leitung: Katharina Solzbacher Fotos: Tom Neumeier Leather
Mit: Paul Böschel, Michael Haake, Johanna Kunze, Svea Sigwart, Franziska Sörensen, Katharina Solzbacher, Benjamin Stock
“Wo es keine Tage gibt, da hat man auch keine Angst vor Morgen.“
Im Februar 2019 startet am Weltraumbahnhof Cape Canaveral eine Falcon-9-Rakete in Richtung Mond. Mit an Bord ist die Raumsonde Beresheet, die neben wissenschaftlichen Gerätschaften und einer Zeitkapsel noch eine andere Fracht trägt: Tausende Wasserbären, auch Bärtierchen genannt. Nach technischen Problemen schlägt die Sonde mit hoher Geschwindigkeit auf dem Mond auf, hinterlässt einen kleinen Krater und die winzigen Lebewesen. Verwirrt untersuchen die Wasserbären ihre neue Umgebung. Was ist passiert? Wer ist verantwortlich für das alles? Und was sollen sie jetzt tun? Etwa etwas Neues schaffen? Schon bald diskutieren die Tierchen die Rolle des Individuums in ihrer Gesellschaft und wie das mit der Gemeinschaft funktionieren soll. Als gleichberechtigtes Kollektiv vielleicht?
Mit dokumentarischen Elementen, klugen Dialogen und großer Empathie für Wasserbär und Mensch gelingt dem Autor Till Wiebel eine Parabel über grundlegende Probleme der Menschheit. Humorvoll und herzerwärmend schafft er Raum für Diskurse über Utopien, Gesellschaftssysteme, Neuanfänge und das Miteinander.
Amüsante Gesellschaftsplanung
Mit dem ebenso satirischen wie philosophisch und soziologisch tiefblickenden Schauspiel „Wir Wasserbären“ gelingt Till Wiebel eine moderne und im wahrsten Sinne des Wortes „fabelhafte“ Beschäftigung mit den Themen, welche unsere aktuelle Gesellschaft bewegen. Antje Thoms’ Inszenierung beeindruckt am Theater Regenburg, ist komödiantisch und tiefsinnig. Es ist der Regisseurin und ihrem Ausstatter hervorragend gelungen, sowohl das komödiantische als auch das tiefsinnige Potential in Szene zu setzen. Die Bewegungsabläufe sind raffiniert durchdacht, und die Inszenierung ist gespickt mit originellen und kreativen Details, welche immer wieder für amüsante Überraschungen sorgen. Auch die anspruchsvoll arrangierten und bravourös gesungenen A-cappella-Interpretationen von Popsongs können stark beeindrucken.
Farbig und temporeich
Es geht ums Vorankommen, ums Überleben, ums Schreiten oder Scheitern, um Gemeinsamkeit, ums Teambuilding in all seinen Phasen. Im Stück beschreiben die Wasserbären gemeinsam ihre Gedanken, ihr Schicksal, singen Klagelieder genauso wie sie individuelle Statements vorbringen. Sie tragen keine Namen, sind alle gleich, alle niemand. Die Rolle des Individuums in der Gesellschaft wird verhandelt, es geht um Vernunft, Ordnung, um Errungenschaften wie das Weihnachtsgeld, das auf dem Mond wohl perdu ist. Sie räsonieren über sich und die Welt, stellen verschiedenste Szenarien des Zusammenlebens auf, suchen nach einem Verhaltenskodex, haben die Gelegenheit, von vorne zu beginnen und erkennen schließlich, wie tröstlich die Gemeinsamkeit sein kann.
Till Wiebel schießt mit sanften Pfeilen auf unsere Welt, rechnet ab mit den Dingen, die uns Menschen so beschäftigen, nutzt Gemeinplätze, nutzt Sprachspiele. Die sieben Darsteller*innen haben ihren Part wirklich verinnerlicht, Antje Thoms Inszenierung ist farbig, hat Tempo. Es wird nie langweilig. Ausstattung, Licht und Choreografie arbeiteten aufs Beste zusammen und geben einen passenden Rahmen für diesen kurzweiligen Diskurs über Utopien und Lebenssysteme.