„Die originelle Inszenierung von Antje Thoms hebt sich von dem, was Tourneetheater üblicherweise zeigen, mutig ab – und triumphiert. Das ist nicht mehr gespieltes, sondern gelebtes Theater, das fesselt und nachklingt. Bravo!“

2013, Inszenierung am RLT Neuss

Text: Peter Shaffer, übersetzt von Nina Adler Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Barbara Noth Ausstattung: Ivonne Theodora Storm Musik: Robin Jurmann Fotos: Anke Sundermeier / Stage Picture

Mit: Joachim Berger, Robin Jurmann, Ulrike Knobloch, Jonathan Schimmer, Georg Strohbach, Henning Strübbe

„Und wer wird euch, in eurer Zeit, zur Unsterblichkeit verhelfen?”

Die Legende, Mozart sei durch seinen Rivalen Antonio Salieri vergiftet worden, bringt Salieri kurz vor seinem Tod selbst ins Spiel. Salieri, als Komponist gefeiert und in der Gesellschaft hoch angesehen, hat als einziger das Genie Mozarts erkannt. Und verzweifelt über dieser Erkenntnis ob seiner eigenen Mittelmäßigkeit. Mozart, ein von Gott geküsster Künstler, ein Superstar, ein Wahnsinniger, ein Revolutionär, der mit seinen Kompositionen seine Mitmenschen beflügelt, doch in seiner Außergewöhnlichkeit auch immer wieder verstört, steht konträr zu Salieris Lebensentwurf. Denn Salieri versucht mit Fleiß, Pflichtbewusstsein, Demut und Verzicht den Gipfel künstlerischen Ruhms zu erklimmen.

Genie und Mittelmäßigkeit, Leidenschaft und Beherrschung, schöpferische Uneigennützigkeit und eifersüchtiger Ehrgeiz prallen aufeinander.

Salieris ganzes Sein konzentriert sich mit stetig zunehmender Besessenheit nur noch darauf, die Karriere seines exzentrischen Konkurrenten zu zerstören. Als ihm dies gelingt, ist auch Salieri endgültig verloren. „Amadeus“ – ein Abend der Untoten, ein Requiem für alle Mittelmäßigen.

Neid und Intrigen münden in große Kunst

„Amadeus“ überzeugt mit exzellenten Schauspielern und packender Regie. Die originelle Inszenierung von Antje Thoms hebt sich von dem, was Tourneetheater üblicherweise zeigen, mutig ab – und triumphiert. Es beginnt mit dem stärksten Einstieg dieser Theatersaison: Die gesamte Szenerie liegt unter einer dünnen Plastikfolie, der vom Tod gezeichnete Antonio Salieri hält unter einem gleißenden Kreuz aus Neonröhren Zwiesprache mit Gott – und sich selbst. Joachim Berger spielt den missgünstigen Salieri einfach großartig, ist die dominante, prägende Figur dieses Stückes, Dreh- und Angelpunkt des dramatischen Geschehens: eiskalt und skrupellos, zerfressen von Neid, letztlich verzweifelt. Als exzellent besetzter Gegenpart tritt Jonathan Schimmer als Mozart auf die Bühne: ungebärdig, rülpsend, vulgär, alle Konventionen verletzend – dieser Irrwisch bereichert die Aufführung um wüste Szenen und skurrile Rollenspiele. Die bildstarke Inszenierung bereichern die fein ausgearbeiteten Nebenrollen. Ein rasantes, körperbetontes Drama, in dem die Akteure auf dem Boden robben, vom Billardtisch fallen, auf den Schrank springen, Sektflaschen sprühend entkorken oder sich eine Flasche Wasser über den Kopf schütten. Das ist nicht mehr gespieltes, sondern gelebtes Theater, das fesselt und nachklingt. Mit der Auswahl dieses Stückes hat das Theater der Obergrafschaft das Abo I mit einem echten Höhepunkt schließen lassen. Das Publikum erhob sich beim Applaus von den Sitzen, selten haben Schauspieler das so verdient wie diesmal. Ein erlesener Theaterabend. Bravo!

Absolut zeitgemäße Inszenierung

Von der ersten bis zur letzten Minute spannend, ja ein wahrer Nervenkitzel, der einem Krimi gleichkommt, ist das Schauspiel „AMADEUS“, das in der Inszenierung von Antje Thoms auf dem Programm steht. Das ganze Stück ist so konzipiert, dass die Figur des Antonio Salieri, deren wechselhafte Emotionen Joachim Berger in bestechender Weise darstellt, die verschiedenen Stationen in seinem Leben erzählt, in denen er immer wieder auf Mozart trifft. Hierbei spinnt Salieri immer wieder neue Intrigen, wünscht Mozart das Schlimmste, verflucht ihn. Sehr gut dargestellt, wie Salieri durch seinen Jähzorn und seine Mordswut immer besessener wird. Aber auch Mozart, verkörpert von Jonathan Schimmer, wird so dargestellt, dass die These bestätigt wird, dass Genie und Wahnsinn vielfach sehr nah beieinander liegen. Er schwebt ständig in höheren Sphären, hält unbeirrbar an den Visionen fest, die ihm bei seiner Komposition vor Augen schweben und neigt dabei dazu, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Die sehr abwechslungsreiche, sich ständig aufgipfelnde und absolut zeitgemäße Inszenierung von Antje Thoms ist sehr empfehlenswert.

Bravo, Bravi, Chapeau!

Eine kurzweilige, spritzige, originelle und höchst dramatische Inszenierung von Antje Thoms. Musikeinspielungen von Robin Jurmann am Klavier illustrieren auf gedrängter, aber effektvoller Bühne die Entwicklung hautnah. In Berger (trotz Grippe großartig) findet Salieri eine ebenso markante Entsprechung wie das große Kind Mozart in Schimmer (brillant) sowie der Kaiser und die Hofschranzen in Henning Strübbe und Georg Strohbach. Ein erlesener Theaterabend, der mit verdienten Ovationen bedacht wurde. Bravo, Bravi, Chapeau!

 

Virtuosität trifft auf Genie, Besessenheit und Neid

Zwei Extreme treffen aufeinander – für den Zuschauer entwickelt sich daraus ein vergnügliches, unterhaltsames und spannendes Schauspiel. Joachim Berger brilliert in der Rolle Salieris, der Stück für Stück dem Neid verfällt und auf Rache sinnt. Spontan und unverblümt springt dagegen sein Kontrahent Mozart über die Bühne – Jonathan Schimmer schlüpft mit Enthusiasmus in die Rolle, lebt sichtlich in ihr auf. Und während Berger souverän Platz im Sessel nimmt, lässt Thoms den unbändigen jungen Mozart Billard spielen und Karussell fahren. Die Bühne bleibt in jeder Sekunde lebendig. Nicht zuletzt auch durch Robin Jurmann am Klavier, der die Motteten, Hymnen und Opernklänge der beiden Komponisten klangvoll intoniert.

Mitreißendes Intrigenspiel im Theater

Wenn es nicht wahr ist, dann ist es doch gut erfunden. Joachim Berger als Salieri ist ein maßloser Schlemmer von beeindruckender Statur. Mit öligem Gesicht tarnt er sein Doppelspiel, umgarnt sein Opfer und saugt es erbarmungslos aus. Was ihn umtreibt, ist die Erkenntnis der eigenen Mittelmäßigkeit. Mit leerem Blick muss er immer wieder die leichte Meisterschaft des Jüngeren eingestehen. Der Mozart des Jonathan Schimmer ist ein hyperaktives Kind. Laut turnt er mit affenartiger Behändigkeit über und unter die multifunktionalen Möbel. Albern sprudeln die Assoziationen und Zoten aus ihm hervor. Im Achselshirt kontrastiert er zum Medium göttlicher Tonkunst, angedeutet in Klavierpartituren. Für die Realität aber ist er blind. Wunderbar gibt Ulrike Knobloch den Kontrapunkt dazu als wache und wohltuend einfache Constanze. Die Kunst aller Schauspieler erntete Bravorufe und rhythmischen Applaus.

Eindrückliche Charakterstudie

Aus Eifersucht wird Neid, aus Neid wird Hass, der schließlich die Seele zerfrisst – diese Entwicklung stellt Regisseurin Antje Thoms konsequent und schlüssig heraus. Sie bietet eine eindrückliche Charakterstudie des bekanntesten Komponisten der Welt. Obwohl grippegeschwächt glänzt Joachim Berger in der Rolle des Salieri, der mit kaltem Machtinstinkt den vermeintlichen Kontrahenten ins Verderben laufen lässt. Jonathan Schimmer als Mozart spielt sich buchstäblich die Seele aus dem Leib. Der Charme der unbeschwerten Jugend, die bohrende Sorge um die eigene Zukunft, die Hingabe zur Musik– all diese Facetten lässt der junge Schauspieler in der Rolle entstehen. Ohne Vorbehalte, ja geradezu distanzlos tritt Mozart jedem gegenüber, der ihm begegnet. Diese Nähe nimmt man Schimmers Amadeus aber nicht übel, ist sie doch Teil seines unbekümmerten Wesens. Begeisterter Applaus.

 

Beeindruckende Leistung

Das RLT überzeugt mit dem Stück „Amadeus“ von Peter Shaffer. Ein Netz, gesponnen aus Klängen, ist es, was den Hofkompositeur Salieri überspannt. Leichte warme Töne eines Andante – die Mitglieder des Ensembles rutschen in die musikalische Vergangenheit, authentisch in ihren Rollen, sie scheinen kaum wahrzunehmen, dass hier nur Theater gespielt wird. Besonders Mozart sprüht vor Temperament und Kuriosität. Die alte Geschichte der beiden konkurrierenden Musiker ist plötzlich präsent. Mozart-Klänge überall – und Mozart selbst steht wie eine Marionette stumm singend zum Publikum. Und immer weiter brodelt es zwischen den Kontrahenten. Die Gier nach Anerkennung, Macht und Ruhm beider Komponisten werden in dem Stück trefflich beleuchtet.

Erkenntnis der eigenen Mittelmäßigkeit

Kaum ein Stoff könnte zum Spielzeit-Thema besser passen als „Amadeus“ von Peter Shaffer. Ein Mensch verzweifelt an den Fügungen Gottes und wird einzig von dem Wunsch getrieben, ihm eine Lektion zu erteilen. Aber das Stück hat es in sich, funktioniert mit den Mitteln des Films wunderbar, ist für die Bühne jedoch ein harter Brocken. Denn es ist vor allem erzähltes Theater – ein ständiges Springen zwischen den Zeiten und ein unterschiedliches Agieren vor allem des erzählenden Spielers: mal als Teil der Szene, mal als Beobachter. Joachim Berger meistert in der Inszenierung von Antje Thoms diesen Spagat fast mühelos. Er ist ein ungemein präsenter Salieri, arbeitet heraus, wie ein Mensch innerlich aufgezehrt wird – von hassliebender Bewunderung, von der damit verbundenen Erkenntnis der eigenen Mittelmäßigkeit. Wut, Verzweiflung, Gier, Liebe, Resignation – alle Gefühle, zu denen der Mensch fähig ist, spiegeln sich in ihm. Und wie bitter ist das Ende: Mozart hat er vernichtet, aber dessen Musik wird im Gegensatz zu seiner eigenen weiterleben. Jonathan Schimmers Mozart ist in Thoms‘ Inszenierung kein Gegenspieler, kein Sympathieträger. Was Schimmer mit körperlichen Spiel ausdrucksvoll und ungehindert auslebt: die Unruhe, das Irrwischige dieses Musikers. Bei Antje Thoms wird „Amadeus“ zu einem gut geschnürten, kompakten Paket. Dazu tragen auch sinnvolle Striche, die gut gespielten Nebenrollen und die Ausstattung bei. Weniger sichtbar, aber ein unglaublich präsenter Mitspieler: das Klavier mit dem Pianisten Robin Jurman.

Etwas Eigenes

Das waren Szenen, in denen das Theater bewies, dass es der Opulenz einer Verfilmung etwas Eigenes entgegenzusetzen hatte.

Darf sich innovative, fortschrittliche Kunst nach dem Publikumsgeschmack richten?

Oder treffen nicht Genialität und Modernität eines Künstlers zunächst fast immer auf den Widerstand der Pharisäer? Dieser Aspekt des Stücks ging in den bisherigen Interpretationen des Stücks meist unter, wird aber in Neuss nicht versteckt. Jonathan Schimmer gibt den albernen hyperaktiven Kindskopf Wolfgang Amadé überzeugend – überzeugend, nicht sympathisch: Exhibitionistisch ist diese Rolle angelegt, im sozialen Kontext wenig sensibel, albern und zotig. Schimmer findet eine perfekte Balance zwischen dem naiven genialischen Musenkind und dem affig infantilen, respektlosen Dauer-Pubi. Die frappierende Beweglichkeit und Eleganz, mit der er abwechselnd Kompositeur und Kaiser, Constanze und Klavier bespringt, ist bezaubernd; die Ausstatterin hat ein kongeniales Kostüm für ihn gefunden, das gleichermaßen die Eleganz des engelgleichen Genies des 18. Jahrhunderts und das Outfit des heutigen Hells Angel Rockers zitiert. Als Venticelli eifern Georg Strohbach und Henning Strübbe heutigen Interpretationen von Rosenkranz und Güldenstern nach, den intriganten, schmierigen Wegbegleitern Hamlets. Den beiden in dieser Inszenierung in hohem Tempo ihre Rollen wechselnden Schauspielern gelingen zudem wunderbare Miniaturen. Langer Applaus für ein unterhaltsames Spiel.