„Thoms hat genau hingeschaut und sehr präzise inszeniert. Ihre Arbeit mit den Schauspielern muss sehr fruchtbar gewesen sein, denn Andreas Jeßing, Felicitas Madl und Andrea Strube agieren auf ganz hohem Niveau und zeigen brillantes Schauspiel.“

2015, Inszenierung am Deutschen Theater Göttingen

Text: Tamsin Oglesby, übersetzt von Christian Wittmann Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Sara Örtel Ausstattung: Florian Barth Fotos: Isabel Winarsch

Mit: Andreas Jessing, Felicitas Madl, Andrea Strube

„Warum müssen eigentlich alle andauernd so enttäuscht aussehen?“

Probleme können einem über den Kopf wachsen, die eigenen Kinder auch. Vater – Mutter – Kind. Die Keimzelle bürgerlichen Glücks. Die Keimzelle unkontrollierbarer Ängste: das Kind könnte den eigenen und den Ansprüchen der Gesellschaft nicht genügen. Das Kind könnte sich die Zukunft verbauen, zu viele Grenzen überschreiten, an die falschen Freunde geraten, ungewollt schwanger werden, in der Schule versagen, auf der Straße landen. Das Kind könnte seine Grenzen zu wenig austesten, zu angepasst sein, ein Außenseiter werden, kein Selbstbewusstsein aufbauen, nie den Absprung aus dem Elternhaus schaffen. Man selbst könnte zu unentspannt oder zu entspannt zu sein, man könnte in der Erziehung des Kindes scheitern.

Tamsin Oglesby nimmt sich satirisch überhöht der Versagensangst moderner Eltern an. Schonungslos benennt sie die zeittypische Tendenz, familiäre Konflikte durch die Therapie der Symptome lösen zu wollen, statt sich den eigenen emotionalen Unzulänglichkeiten zu stellen.

Brillantes Schauspiel

Gerade eben noch war Mäuschen so niedlich, ein zauberhaftes Wesen, zart, zerbrechlich, ein Versprechen auf die Zukunft. So sehen das El und Jim, die Eltern von Fran. Jetzt sehen sie ein 16-jähriges Wesen, über das El sagt: „Es fühlt sich an als ob ein Alien in ihren Körper gelangt ist und das Cockpit übernommen hat.“ Fran ist mitten in der Pubertät und hat beschlossen, so zu sein, wie ihre Eltern sich einen Teenager in der Pubertät vorstellen. Eine halbe Flasche Wodka hat sie sich hinter die Binde gekippt. Geld hat sie vom Konto der Eltern gestohlen und die Wohnung verwüstet. Sie kommt jeden Morgen zu spät zur Schule, und dann hat sie auch noch eine Tasche gestohlen. Das ist die eine Seite der Geschichte. Die andere: Jim, ein freischaffender Künstler, hat eine ausgewachsene Schaffenskrise und heimlich die Hausbar geleert. Das fällt erst spät auf, dann will er die Schuld abwälzen, unter anderem auf seine Tochter. Und El, die das Geld verdient, ist dauerangespannt. Sie versucht, ihre Tochter zu erziehen, zum Aufräumen und zum Allesessen. Und weil sie dabei gnadenlos vorgeht, finden Mutter und Tochter nicht zueinander. Und ob der Therapeut die Gemengelage klären kann, zu dem die Kleinfamilie dann geht, erscheint eher fraglich.

Die britische Autorin Oglesby hat dieses Beziehungsdurcheinander gerafft und konzentriert, sie hat es überspitzt, aber sie hat ihrem Stück auch Realitätsnähe gelassen. Und genau darin ist ihr Regisseurin Thoms gefolgt. Alle Grausamkeiten, egal welche Seite der Konfliktparteien sie auch verübt, sind vorstellbar. Thoms hat genau hingeschaut und sehr präzise inszeniert. Ihre Arbeit mit den Schauspielern muss sehr fruchtbar gewesen sein, denn Andreas Jeßing, Felicitas Madl und Andrea Strube agieren auf ganz hohem Niveau und zeigen brillantes Schauspiel. Die Bühne dafür hat Florian Barth entworfen, auch ihm ist ein Meisterstück geglückt. Die Studiobühne, bislang ein Ort für reduziertes Interieur, hat Barth geradezu schwelgerisch ausgestattet. Er hat die Wohnung einer gut situierten kleinen Familie in den finsteren Raum gezaubert. Hier wohnen keine Prolls, sondern eine gutbürgerliche Familie. Auch sie ist nicht gefeit vor dem Schrecken des unverstandenen oder auch verständnislosen Erwachsenwerdens, kurz: der Pubertät. Vordergründige Lösungen liefert das Stück übrigens nicht. Für welche Zielgruppe also ist die Produktion gedacht? Für alle, die Kinder haben auf jeden Fall, egal, ob vor der Pubertät oder danach. Dann noch für all jene, die staunen wollen über herausragende Schauspieler. Und für die, die sich an präziser Regie erfreuen können. Aber im Vorbeigehen ist dieser konfliktreiche und spannende Abend nicht zu konsumieren.

Liebe wichtiger als Leistung

Lang anhaltender Beifall und Trampeln belohnte die ausverkaufte Premiere des Stückes „Ephebiphobia – Angst vor Teenagern“. Die britische Theaterautorin Tamsin Oglesby nimmt darin die Konflikte zwischen dem rebellischen Teenager Fran und ihren überforderten Eltern El und Jim unter die Lupe. Mit der Zeit werden die Hintergründe und Abgründe deutlicher, der Machtmissbrauch der Eltern, das Überfordern der Tochter, die Überforderung der Eltern, ihre kaputte Ehe, Lebenslügen, Versagensängste, die gescheiterte Künstlerkarriere des Vaters. Am Ende ahnt man, dass Fran – vielleicht – dabei ist, erwachsen zu werden und dass die Eltern – vielleicht – spüren, dass Liebe wichtiger ist als Leistung und „Kadavergehorsam“. Die drei Schauspieler überzeugen, spielen die ganze Gefühlsklaviatur rauf und runter. Felicitas Madl gibt die 16-jährige Fran, von den Eltern immer noch realitätsblind „Mäuschen“ genannt, mit vollem Körpereinsatz. Ihre Eltern werden von Andrea Strube und Andreas Jeßing mit erschreckendem Realismus gespielt, ja entlarvt. Der Zuschauer kommt sich vor wie ein Voyeur. Das liegt auch am stimmigen Bühnenbild von Florian Barth. Das vielschichtige Stück bietet reichlich Stoff zum Nachdenken. Und viel zu lachen gibt es auch.

Dramatisches Labyrinth

Regisseurin Antje Thoms sondiert Ursachen, Folgen und Nebenwirkungen in diesem dramatischen Labyrinth, ohne dass der Eindruck einer psychologischen Studie mit praktikablen Lösungsangeboten entsteht. Die vielen alltäglichen Zwischenfälle und Ausbrüche reihen sich aneinander, ohne dass sich die Figuren dabei verändern. So als ob sie einfach verschiedene Reaktionsmuster austesten, die sich immer wieder drastisch, komisch und satirisch zuspitzen. Umso mehr nimmt sich das Schauspiel-Team der vielen verdächtigen Störsignale an, über die nicht so gerne therapeutisch verhandelt wird. Der forschende und wohltuend lakonische Blick der Regisseurin gilt vor allem den vielen emotionalen Behinderungen, die das Miteinander prägen.