„Am Ende verlässt man „Dieters Stübli“ heiter beschwingt, in leichter Verzückung über einen anarchischen Abend voller Derbheiten, Matrosenherzblut und entwaffnendem Unsinn.“

2010, Uraufführung am Stadttheater Bern

Konzept, Text und Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Matthias Heid Musikalische Leitung: Michael Frei Bühne: Romy Springsguth Kostüme: Simone Hofmann Fotos: Philipp Zinniker

Mit: Henriette Cejpek, Michael Frei, Sabine Martin, Andri Schenardi, Ernst C. Sigrist, Diego Valsecchi

„Ja, das Meer ist blau, so blau
Und das geht alles seinen Gang
Und wenn die Chose aus ist
Dann fängts von vorne an“
 

Es gab Zeiten, da begannen Reisen zu fernen Kontinenten nicht in der sterilen Atmosphäre eines Flughafens, sondern am Kai eines Hafens. Und mit der Überquerung jenes schmalen Spalts zwischen Kaimauer und Bordwand vertauschte der Seefahrer den festen Boden der Heimaterde mit den schwankenden Planken eines Schiffes, das ihn hinaustrug aufs offene Meer. Seemannslieder gehören zur Küste wie der Geruch von Seetang, Salzwasser und Schiffsdiesel. Sie erzählen von Zeiten, als die Seefahrt noch romantisch war. Und während die Seeleute heute mit einem minutengenauen Fahrplan über die Meere schippern, wird in den Hafenkneipen weiter Seemannsgarn gesponnen, der Klabautermann beschworen und schließlich greift Hein zum Schifferklavier: schon ist sie wieder da, die Sehnsucht.

„Sehnsucht ist unheilbar“ – ein Liederabend, der von jenem merkwürdigen Gefühl erzählt, das man Fernweh nennt und das doch fast immer irgendwann von einem ebenso starken Gefühl abgelöst wird; dem Heimweh.

Fernweh-Reigen in „Dieters Stübli“

Herrlich skurril wird in einer wunderlichen Matrosenbar die Sehnsucht nach dem Meer beschworen, Seemannsgarn und Drittklassschlager inbegriffen. Was das Seemannsherz begehrt – hier ist es zu finden: Muschel, Mast und Möwe, Plastikkrebse, Rettungsringe und Fischerutensilien, als ob die hohe See gleich vor der Türe liegen würde. Aber eben: Das Meer ist weit weg und das Leben ziemlich salzig. Umso grösser ist die Fernsucht – und die Sehnsucht nach der Sehnsucht. Sie spiegelt sich im Seemannsgarn, das da aufs Schönste gewoben wird in diesem Binnenland-Matrosenabend am Hafen von Bern. Und sie spiegelt sich in den Songs, die in diesem Schmalspurmusical immer wieder unvermittelt zur Entfaltung kommen, in denen sich „Tisch“ auf „Fisch“ und „Rum“ auf „fällt um“ reimt. Es sind alle an Bord: Jan-Hein-Klaas-Pit Albers, der energische Bratfischspezialist und Nostalgiker aus Norddeutschland; Urs, der grantige Stammgast; eine Frau, die singend ihren Hund sucht; ein gestiefelter Tiefseefischexperte und natürlich das Wirteehepaar Dieter und Maria. Sie keifen, küssen, weinen, sie protzen und singen und am Ende verlässt man „Dieters Stübli“ heiter beschwingt, in leichter Verzückung über einen anarchischen Abend voller Derbheiten, Matrosenherzblut und entwaffnendem Unsinn

Berge und Ozeane begegnen sich

Während die einen ein kühles Bier trinken möchten, warten die anderen auf Onkel Hans, den einheimischen Seemann. Berge und Ozeane begegnen sich an der schönen grünen Aare – des Mittelländers Sehnsucht nach dem weiten Nass scheint für einmal direkt vor der Haustüre gestillt zu werden. Fische feiern Feten, der Mary Ann ist man treu, anderen flotten Dampfern eher weniger und in Träumen möchte man Blusenknopf oder Gitarre sein.