„Einen großen Teil zum Gelingen der Inszenierung trägt Regisseurin Antje Thoms bei, die sich nicht sklavisch an die Vorlage hält. Stattdessen hat Thoms das Stück auf vielfachen Ebenen inszeniert. Zentrales Element dabei ist, dass die Regisseurin mit verschiedenen Wirklichkeiten spielt. Thoms traut sich was.“

2012, Inszenierung am Deutschen Theater Göttingen

Text: Daniel Kehlmann Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Lutz Keßler Bühne: Amelie Hensel Kostüme: Katharina Meintke Musik: Fred Kerkmann Fotos: Thomas Müller

Mit: Vanessa Czapla, Gaby Dey, Florian Eppinger, Lutz Gebhardt, Fred Kerkmann, Nikolaus Kühn, Karl Miller, Paul Wenning, Gerd Zinck

„Jeder Moment ist für immer.“

Princeton Anfang der 50er Jahre: Ein ungleiches Freundespaar verlässt allabendlich das Institut und spaziert durch die beschauliche Universitätsstadt. Der eine ist der weltberühmte Physiker Albert Einstein, der andere Kurt Gödel: der größte Logiker seit Aristoteles, weltfremd, ausgezehrt und selbst im Sommer warm angezogen. Für den menschenscheuen und zu Verfolgungswahn neigenden Gödel ist Einstein der Einzige, in dessen Gegenwart er sich sicher fühlt. Kurt Gödel, der größte Logiker des 20. Jahrhunderts, revolutioniert mit knapp 24 Jahren die mathematische Logik und beweist später, dass die Möglichkeit von Zeitreisen (auch in die Vergangenheit) theoretisch nicht auszuschließen ist. Gleichzeitig schreibt er Briefe an Außerirdische, hat panische Angst vor Kühlschränken und lässt jegliches Essen von seiner Frau Adele vorkosten.

GEISTER IN PRINCETON zeichnet die Lebensstationen des Logikers nach. In einem raffinierten Spiel aus Fakten, Fiktion und Philosophie lässt es Paradoxien Purzelbäume schlagen und zeigt Gödels abgründige Gratwanderung zwischen Grenzen sprengendem Denken, logischer Brillanz und einem selbstzerstörerischen Rationalismus.

Er greift dabei dramaturgisch Gödels zyklisches Zeitmodell auf, das kein Gestern, kein Heute, kein Morgen anerkennt. Die Grenzen zwischen Realem und Irrealem, zwischen hier und anderswo verschwimmen. In der simultanen Bühnenpräsenz vergangener und zukünftiger Figuren, im Auftreten von Gespenstern und Spukmonstern, in der Beschwörung des zeitgeschichtlichen Grauens spiegeln sich die Obsessionen des Genies Gödels, dessen Wahn sich gleichsam aus dem Genie herausentwickelt: Gödels Amok laufende Logik überwindet sämtliche Sicherungen, von denen Normalsterbliche meistens durch den „gesunden Menschenverstand“ beschützt werden.

Erschütternd gut

„Geister in Princeton“, das erste von Daniel Kehlmann 2011 fürs Theater geschriebene Stück, hat Regisseurin Antje Thoms grandios inszeniert. Keine Sorge. Die „Geister in Princeton“ verlangen vom Zuschauer nicht die Beherrschung höherer Mathematik. Logisch vermittelt sich dieses perfekt inszenierte Vergnügen in jedem Moment der nur 100-minütigen Aufführung. Neben Regisseurin Thoms sorgt dafür das wunderbar wandlungsfähige Bühnenbild von Amelie Hensel. Ihre Räume, die beiden Lebenswelten von Gödel, entstehen mit wenigen Mitteln, wirken bedrohlich, alltäglich oder zauberhaft. Verstärkt wird dieser Blick aufs Spiel der neun Schauspieler durch die Musik von Fred Kerkmann. Seine Kompositionen untermalen dezent und doch unverzichtbar das dramatische Geschehen und die Verzweiflung eines Genies. Florian Eppinger zeigt stark Gödels Charakterzüge: seine Zerrissenheit, seinen stillen und im Ergebnis revolutionären Forschungsdrang, die aufrichtige, hilflose Liebe zu seiner Frau und seine wachsenden Wahnvorstellungen. Trotz aller nachdenklich stimmenden Aussagen über Zeit und Raum bereitet das Kehlmann-Stück in der DT-Version viel Spaß: Dynamisches Schauspiel – in der Theaterwelt kann ein Schauspieler gleichzeitig an zwei Orten sein –, besondere Effekte und stimmungsvolle Musik ergeben beste Unterhaltung mit viel Sinn für Logik.

Paradoxon

Da steht er nun am Ende, dieser Gödel. Oder besser, da stehen sie um ihn herum an seinem Begräbnis. Es ist tragisch, dieses Leben des Genies, das kaum einer kennt, aber es ist auch komisch. Köstlich zum Beispiel wenn Albert Einstein den realitätsfernen Gödel auf seine Prüfung zur amerikanischen Staatsbürgerschaft vorbereiten will und dieser, statt die gewünschten Antworten zu geben, das ganze System in Frage stellt. Daniel Kehlmann versucht sich mit „Geister in Princeton“ erstmals an einem Theaterstück, dabei überzeugen seine geschliffenen, pointierten Dialoge. Einen großen Teil zum Gelingen der Inszenierung trägt allerdings vor allem Regisseurin Antje Thoms bei, die sich nicht sklavisch an die Vorlage hält. Stattdessen hat Thoms das Stück auf vielfachen Ebenen inszeniert. Zentrales Element dabei ist, dass die Regisseurin mit verschiedenen Wirklichkeiten spielt. Thoms traut sich was. Sie weicht ab vom Text Kehlmanns und lässt die Geister, die Gödel sieht, auch buchstäblich auftreten. Dazu kommt das Spiel mit dem Zeittunnel, der als Bühnenbild hinter allem schwebt und die Zeitsprünge im Stück noch deutlicher macht. Apropos Bühnenbild, das ist visuell wahrhaft ergreifend. Trotzdem bleibt die Frage, kann die Geschichte eines Mathematikers zu einem spannenden Theaterstück werden? Hier ja. Florian Eppinger spielt den Kurt Gödel in seinen mittleren Jahren bis hin zum Tod mit nuancierter Brillanz. Und das Stück spielt munter mit den Stimmungen, nicht nur auf der Klaviatur des Dramas. Oder, wie Regisseurin Thoms sagt: „Ich mag eigentlich gerne, wenn man beides kann im Theater. Wenn man lachen kann und weinen. Aber wie man das hinkriegt, weiß ich auch nicht.“  Ja, und da ist es wieder, das Paradoxon. Denn dass sie es doch weiß, hat sie schließlich gerade gezeigt.

Tolle Verbindung aus Theorie und intelligentem Witz

Viel Jubel gab es fürs Ensemble und die Regie von Antje Thoms. Was würde ein Junge fragen, wenn er sich selbst als erwachsenem Mann begegnen könnte? Das Deutsche Theater in Göttingen zeigt es in dem amüsanten Wissenschaftsstück „Geister in Princeton“ von Bestsellerautor Daniel Kehlmann. Der Logiker Kurt Gödel kommt hier gleich vierfach auf die Bühne: Als Kind, als junger Mann, als reifer Wissenschaftler und als Greis. Und weil Gödel mit dem Gedanken experimentiert hat, dass es keine Zeit gibt, dass also alle Momente unseres Lebens gleichzeitig stattfinden, können sich diese vier Gödels auch begegnen. Sie sitzen in schöner Eintracht auf der Bühne, jeder im braunen Zweireiher mit runder Brille auf der Nase, und diskutieren über Traum und Wirklichkeit. Florian Eppinger spielt Gödel in einer Wolke von Unnahbarkeit, eingesponnen in die Geisterwelt, die ihm völlig real erscheint, und immer wieder für Verblüffung sorgend, wenn er auf einmal ganz im Hier und Jetzt ist. Fred Kerkmann sorgt an der Gitarre für emotionale Live-Musik. Regisseurin Antje Thoms gelingt es mit Präzision und Lust am Witz, die verschachtelten Bedeutungsebenen zu erden. Besonders im Höhepunkt des Abends, der Szene, als Gödel auf einem Bahnhof in Russland aus dem Zug gewunken wird und sich mit zwei Beamten auseinandersetzen muss. Paul Wenning und Nikolaus Kühn in fiesen Altkleideranoraks mit Blechtassen voll Schnaps philosophieren so herrlich darüber, ob es die Provinzhauptstadt überhaupt gibt, dass klar wird: im sibirischen Schneegestöber haben Zeit und Raum ohnehin keine Bedeutung.

Vielleicht sind wir verrückt, wenn wir meinen, am klarsten zu sein

Dieser Satz schlängelt sich wie ein roter Faden durch die Geisteswelt Gödels. Wo sich schon der Logiker einer linearen Zeitrechnung verweigert, folgt ihm auch die Bühnenhandlung, in der die markanten Lebensstationen die Form eines Vexierbildes annehmen: Vergangenes und Zukünftiges fallen ineinander. Selbst die absurdeste Konstellation kann etwas bedeuten und entwickelt ihre verführerische Wirkung an diesem Theaterabend, der sich wie ein philosophisches Suchspiel entfaltet, Sinnfragen stellt, die sich nicht beantworten lassen und dabei auf die beflügelnde Widmung im Programmheft vertraut: „Jeder Moment ist für immer.“

Gespenstische Logik

In der amerikanischen Verfassung sieht er nur logische Fehler und weil er Angst hat vergiftet zu werden, muss seine Frau das Essen vorkosten: Dem großen Logiker Kurt Gödel widmet Bestsellerautor Daniel Kehlmann sein erstes Bühnenstück. Antje Thoms inszeniert diese Lebensgeschichte des schrulligen wie genialen Mathematikers. Es muss ein Bild für die Götter gewesen sein, wie die beiden damals in Princeton über den Campus spazierten. Albert Einstein zauselig und ohne Socken, Kurt Gödel mager und unsicher hinter seinen dicken Brillengläsern. Die Szene war in der Realität der frühen Nachkriegszeit sicherlich nicht weniger grotesk als heute auf der Bühne. Der charismatische und weltberühmte Einstein versucht angestrengt, seinen Kollegen aus Österreich auf den Einbürgerungstest der Vereinigten Staaten vorzubereiten, doch dieser sieht nur logische Fehler in der amerikanischen Verfassung. Überdies ist er davon überzeugt, dass Zeitreisen möglich sind, er sieht Geister und ist sich sicher, dass Unbekannte versuchen ihn zu vergiften. „Wie schaffen Sie das?“, fragt Einstein entgeistert, „Alles scheint stringent, aber wer Ihnen zuhört, glaubt, er ist betrunken.“ Es handelt sich bei diesem Theaterstück um mehr als um eine verflachende Unterhaltungsversion von Geschichte im Guido-Knopp-Stil. Gekonnt nutzt die Inszenierung die Mittel des Theaters, um verschiedene Zeitebenen übereinanderzulegen und zu verschränken und schafft damit Verbindungen zwischen Leben und Werk des Logikers, für den die Zeit nicht existent war. Alles, was man tut, hat man bereits unendliche Male getan und wird man unendliche Male wieder tun: „Jeder Moment ist für immer.“ In „Geister in Princeton“ wird die eigentlich durch und durch tragische Lebensgeschichte mit komischen Dialogen gespickt, die den Zuschauer auf die verschlungenen Wege des logischen Denkens führt, die nicht selten im Wahnsinn münden. Ein Besuch lohnt sich, denn das Stück bietet neue Wege, sich der Biographie einer kaum bekannten, aber durchaus beachtenswerten Figur der Wissenschaftsgeschichte zu nähern. Es bietet Anlass sich mit der Frage nach Zeit aus anderer Perspektive zu beschäftigen und es bietet vor allem einen unterhaltsamen Abend. Das Göttinger Publikum würdigt dieses Angebot schließlich auch mit begeistertem Applaus. Die ZuschauerInnen haben diesen Kurt Gödel ins Herz geschlossen.

Nicht ganz in dieser Welt

Im Kopf von Kurt Gödel ist eine ganze Welt, eine ganz eigene Welt, und die Welt der Kopfmenschen ist das Metier von Daniel Kehlmann. Beide riefen die Geister von Princeton. Nach der Uraufführung in Berlin zeigt das DT in Göttingen nun das erste Drama des Romanciers Kehlmann und es ist Theater für den Kopf und Theater, das im Kopf spielt. Das macht das Bühnenbild deutlich. Immer wieder taucht der Kreis, der Kreis um sich selbst, als Element auf. Es ist nicht der Kreis einer runden Sache, es ist der Kreis als geschlossenes System. Schön, wenn die Ästhetik des Surrealismus sich wiederfindet. Kurt Gödel geht den Schritt weiter. Egal, ob als kleiner Junge, als Student, als Doktorand oder als Dozent, er lebt in seiner eigenen Welt und die dreht sich um ihn selbst. Die „Geister in Princeton” zeigen den Logiker in vier Altersstufen, in Zeitsprüngen über wichtige Lebensstationen, ausgehend von der Beerdigung, gleich viermal als Alter Ego. Auch wenn Gödel immer wieder behauptet, ein Gedanke sei unwiderruflich in der Welt, wenn er einmal gedacht wurde, so ist Gödel selbst nicht ganz in dieser Welt. Er würde ja gern, aber er kann nicht und deshalb verzweifelt er an sich selbst. Dieser ganz eigenen Welt der Geistesgröße setzt die Göttinger Inszenierung einen Kontrapunkt entgegen: John von Neumann, der sich den wandelnden Bedingungen anpassen, die Chancen des amerikanischen Exils zu nutzen weiß.