„Was bleibt ist ein leerer Raum der sich langsam verdunkelt für einen Moment des Schweigens über diesen bewegenden Theaterabend, der seine Zuschauer tief berührt und sehr nachdenklich stimmt.“

2014, Inszenierung am Deutschen Theater Göttingen

Text: William Pellier, übersetzt von Leyla-Claire Rabih & Frank Weigand Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Michaela Oswald Ausstattung: Lea Dietrich Fotos: Isabel Winarsch

Mit: Gaby Dey, Paul Wenning, Moritz Bracher/Jan Hendrik Huttanus

„das geht niemand was an“

Sie wollen selbst entscheiden, solange sie dazu noch in der Lage sind. Und sie haben einen Plan: das Einfamilienhaus spenden sie einer Stiftung für Gehirnkrankheiten. Das Geld auf ihrem Konto geben sie dem Tierschutzverein. Den Pudel nehmen sie mit. Mit in den Tod. Denn ihr Plan, der ist todsicher: am 30. August wird der Mann das Holzgeländer an der Serpentinenstraße losschrauben, am 31. August wird er den Wagen darauf zu steuern, den Abhang hinab, hinein den See. Mit im Wagen: seine Frau und der Pudel.

Doch dann kommt alles anders.

Im zweiten Teil der minimalistischen Textfläche spricht die Frau nicht mehr und der Mann spricht mit sich selbst. Das Einfamilienhaus wurde verkauft, um die Plätze im Pflegeheim zu finanzieren. Und den Pudel, den mussten sie abgeben. In „wir waren“ begleitet William Pellier ein namenloses älteres Ehepaar, dem seine Umwelt so fremd geworden ist, dass ihnen der gemeinsame Tod der einzige Weg zu sein scheint.

Wird unser Alter so aussehen?

„Meine Frau und ich, wir bringen uns in zwei Wochen um.“ Das sagt er, sie sitzt daneben. Beide sind längst in Rente, den zartrosafarbenen Bungalow in der Ferienanlage haben sie über ein Mietkaufmodell erworben, hier wollen sie jetzt ihren letzten Urlaub verbringen. Am Ende dann werden sie mit dem Auto durch die Leitplanke fahren und 100 Meter tief in den See stürzen. Und ihr Pudel soll auch dabei sein. So jedenfalls lautet ihr Plan. „wir waren“ heißt das Stück, das diese Geschichte des Älterwerdens erzählt. Regisseurin Antje Thoms, sonst eher zuständig für Produktionen im Großen Haus des DT, hat sie auf der Studiobühne inszeniert. Ihre Darsteller sind die unumstrittene Idealbesetzung: Gaby Dey und Paul Wenning. Wird unser Alter so aussehen, wie die beiden erzählen? Keine Gelegenheit, mit anderen Menschen zu sprechen, vielleicht auch keine Lust mehr. Ein Tier, das wie ein Kind ist. Am Pool dauerhafter Ärger über die lauten Bälger der Miturlauber. Zu Hause Stress, weil der Verein, den man mit den Nachbarn zum Schutz des Eigentums gegründet hat, als Nazi-Organisation verunglimpft wird. Aber immerhin einigermaßen gesund und deswegen in der Lage zu entscheiden, wann das alles enden soll. Denn wenn der Zeitpunkt verpasst ist, droht die Alternative: im Pflegeheim siechen. Das Einfamilienhaus ist längst versteigert, um die Kosten für die Einrichtung aufzubringen. Der Kopf lässt nach, der Körper auch. Die Erinnerung an das Leben verblasst wie die Fotografien, die sich zu einem Berg im Wandschrank türmen. Bedrückend sind beide Varianten. Das liegt natürlich am Thema, das liegt aber auch an der Präzision, mit der Regisseurin Thoms inszeniert. Und wenn dann auch noch Darsteller wie Dey und Wenning, beide hoffentlich noch weit entfernt vom Rentenalter, quasi über Nacht vergreisen, ist das sehr berührend.

Bewegender Theaterabend

In der Inszenierung von Antje Thoms berührt die Geschichte dieses Paares unmittelbar. Das Berührende liegt in all den leisen, fast schon verschwiegenen Gesten der Gemeinsamkeit. Zwei, die sich schon so lange kennen, wissen alles um die Eigenheiten des Anderen, tragen sie mit Geduld und Fassung und mit einer Zärtlichkeit, die sie wie eine Nabelschnur verbindet. Es liegt auch in der Aufforderung Anteil zu nehmen an einem Fall, der so unspektakulär und leider so alltäglich ist, wie er hier den schmerzhaften Verlust von Würde und Selbstbestimmtheit im Alter reflektiert. Was bleibt ist ein leerer Raum der sich langsam verdunkelt für einen Moment des Schweigens über diesen bewegenden Theaterabend, der seine Zuschauer tief berührt und auch sehr nachdenklich stimmt.

Endstation Pflegestation

Wie ein Menetekel steht es über den Lebensentwürfen der Wohlstandsbürger, egal ob sie die Generation Aufbau sind, die sich selbst ein bescheidenes Vermögen erarbeitet haben, oder ob sie zu den lebensprallen Nachfolgern in der Spaßgesellschaft gehören, die die Genussschraube bis zum Erlebnisstress hochdrehen. William Pellier zeigt uns in seinem Text „wir waren“ ein altes Paar jener Aufbaugeneration. Sie und Er, noch eben zufrieden in ihrem Einfamilienheim, das sie selbst bestellen. Noch engagiert für den Zusammenhalt in ihrem kleinbürgerlichen Viertel, das es gegen die als Bedrohung empfundene Neubausiedlung zu verteidigen gilt, wo ihre Werte nichts mehr gelten. Pellier hat das ziemlich nüchtern aufgeschrieben. Empfindungen, Meinungen, Klischees zum Thema einst und heute, wie sie jeder schon gehört hat, reihen sich. Doch den Schauspielern im Studio des Deutschen Theaters Göttingen gelingt es, den Blick weg vom gesellschaftlichen Lamento und hin auf die existentielle Leere, Angst und Verlorenheit der beiden zu lenken. Wenn Gaby Dey mit lächelnden Kommentaren und manch verschmitztem Blick die Aussagen des Ehemanns mitfühlend relativiert, hat das einen Hauch von Wladimir und Estragon. Zum Glück hat Regisseurin Antje Thoms der Versuchung widerstanden, die Aussagen der beiden kinderlosen Alten zu denunzieren. Wenn Er über die aggressiven Balgereien der Kinder in der Feriensiedlung schimpft: „alles potentielle Sadisten“. Wenn beide feststellen: „Alles was den Zauber des Orts ausmachte, ist weg“, sind das aus Sicht des Paares Wahrheiten, die sich klar aus ihrer Situation und den daraus wachsenden Ängsten ergeben. Und ohrenbetäubender Punkrock zum Umbau bestätigt diese Empfindung. Im zweiten Teil aber wird das Pflegeheim Wirklichkeit. Sie ist nun stumm und depressiv. Gaby Dey spielt auch das mit großer Suggestion. Wie sie die Arme apathisch hebt, wenn der Pfleger sie umzieht, sich mit stierem Blick kämmt und dann am Kamm herumkaut, das geht unter die Haut. Paul Wenning erzählt nun allein. Trifft gut das Kurzatmige, Resignative: „Unser Leben war nicht interessant.“ Dank der Schauspieler wird die unausweichliche Einsamkeit am Ende aller Tage spürbar.

Ein letzter Akt der Selbstständigkeit

Das Deutsche Theater hat sich mit dem Stück „wir waren“ des Themas „Altern und Alter“ angenommen – in einer sehr berührenden und beeindruckenden Inszenierung. Unter den Zuschauern, die sich ihre Sitzplätze suchen, ist auch ein altes Ehepaar. Sie nehmen in der ersten Reihe Platz, erwartungsvoll wie alle anderen. Dann dreht sich der Mann um und teilt fast lapidar den Menschen hinter ihm mit: „Meine Frau und ich wir bringen uns in zwei Wochen um“. Das sitzt. In monologartigen, stark verdichteten Textpassagen erzählen beide von ihrem Vorhaben, sich nach einem letzten Urlaub samt Pudel im Auto in einen See stürzen zu wollen. Der ansonsten unvermeidbaren Einweisung in „eine spezialisierte Einrichtung“ wollen sie damit entkommen; ein letzter Akt der Selbstständigkeit. Pellier hat nicht umsonst ein sehr durchschnittliches Paar gewählt. Gleich in mehrerer Hinsicht hält er uns mit ihnen einen Spiegel vor, offenbart, wie wir nicht nur allgemein mit dem Thema Alter umgehen, sondern gewährt uns auch einen bedrückenden Blick in die eigene Zukunft. Dass das Thema nicht abstrakt bleibt, ist neben der dichten und sehr fein abgestimmten Inszenierung den Schauspielern zu verdanken. Gaby Dey und Paul Wenning verkörpern einen alten Mann und eine alte Frau mit all den unbeholfener werdenden Bewegungen und der sich verändernden Mimik überaus realistisch. Vom als Beschäftigungstherapie eingesetzten, erniedrigendem Spiel mit einem Kinderball, über Wennings ständiges Mundabwischen wegen des Speichelflusses, bis hin zu Deys am Ende völlig leerem Blick wird die Hoffnungslosigkeit des Paares körperlich spürbar. Am Ende lang anhaltender, mehr als verdienter Applaus für Schauspieler und Inszenierung.

Bedrückendes Kammerspiel um Alter, Pflegebedürftigkeit und Tod

Thoms platziert die Protagonisten zu Beginn der Vorstellung im Zuschauerraum. Gemeinsam mit den Zuschauern suchen sie ihre Plätze und nehmen den ersten Kontakt auf. Alter und Gebrechlichkeit ist eben nichts, was auf der Bühne stattfindet, sondern ist Teil unserer Gesellschaft und – so bedrückend das klingen mag – Teil unserer selbst. Was sich in den folgenden 75 Minuten dann vor dem Hintergrund der kargen Spießigkeit einer Alteleutewohnung abspielt, geht unter die Haut. Paul Wenning und Gaby Dey’s anrührende Darstellung vermittelt Sympathie und Beklemmung und hinterlässt ein nachdenkliches Publikum. Kein schöner Stoff, allerdings eine ausgesprochen gelungene Vorstellung!